Der Tod im Cyberspace

Ein Essay

von Andreas Mertin

nachgedruckt in: Pfarrer & PC 4/2000, S. 4-6


Der Tod findet im Raum hinter dem Bildschirm ebensowenig statt wie das Leben. Als William Gibson seine Romantrilogie über den Cyberspace schrieb, noch bevor es den Cyberspace gab, widmete er sich in allen drei Romanen der Frage nach dem Leben und dem Sterben im virtuellen Raum. Während der erste Cyberpunkroman "Neuromancer"[1] der Frage nach der möglichen Subjektivität (und damit auch dem Leben und Sterben) von künstlichen Intelligenzen nachgeht, stellt der zweite Roman "Biochips"[2] die Frage nach dem absoluten Kunstwerk und nach dem Leben des Absoluten, also nach Gott. Lebt Gott im Netz und wenn, kann er dort auch sterben? Gibsons drittes Epos "Mona Lisa Overdrive"[3] stellt die Frage, ob sich menschliches Leben in den Cyberspace überführen läßt und so der einzelne dem Tod entgehen kann. Gibsons weise Antwort darauf lautet, daß der Cyberspace "die Differenz zwischen Leben und Tod aufhebt und damit Ausgänge nach beiden Seiten schafft".[4]

Der Tod ist und bleibt zunächst ein körperliches Phänomen und deshalb unterliegt seine "Repräsentanz" im Netz den gleichen Beschränkungen, die auch im Blick auf die Repräsentanz des Körpers im Netz gelten. Zu schnell ist man geneigt, einem Vorgang im Netz Wirklichkeit zuzubilligen, der dann doch nur sehr eingeschränkt wirklich ist. Das wird gerade angesichts des Todes deutlich. Im Lexikon wird das Wort "Leiche" wie folgt umschrieben: "der abgestorbene menschliche oder tierische Körper. Der tote Körper kühlt ab (Leichenkälte), das Blut gerinnt, die Muskeln werden starr (Totenstarre), das Blut senkt sich der Schwere nach, wodurch an den tiefgelegenen Stellen rotblaue Flecke der Haut (Totenflecke) entstehen. Später zersetzt sich der Körper unter dem Einfluß von Fermenten (Selbstauflösung) und durch Einwirkung von Bakterien (Fäulnis, Verwesung). Bei der Eiweißzersetzung entstehen Leichenbasen (Ptomaine), die nur z.T. giftig sind. Bei Leichen Erwachsener sind durchschnittlich in 2-3 Jahren die Weichteile verschwunden, während die Knochen oft jahrhundertelang erhalten bleiben." Ich zitiere diese Beschreibung deshalb, weil schon dadurch die Schwierigkeit deutlich wird, den Tod im Cyberspace zu erfassen. Was wäre das Komplement einer Leiche im Netz?[5] Nichts vom Beschriebenen ereignet sich im Netz und manchmal hat man den Eindruck, es sei es gerade der Sinn des Cyberspace, genau diese Prozesse der Bewußtwerdung von Vergänglichkeit vergessen zu lassen.

Durchforstet man das Internet im Blick auf die Frage nach dem Tod, so findet man zunächst und vor allem Kopien der ersten Wirklichkeit: Todesanzeigen, Friedhöfe oder die "Hall of memory". Wie im 'richtigen Leben' ist eine kleine Industrie rund um den Tod entstanden: zwischen 400 und 2300 Mark kostet die virtuelle Grabpflege für 30 Jahre. Und manches funktioniert hier vielleicht besser und zugleich makabrer als in der ersten Wirklichkeit. So kann man die Stimme des Verstorbenen noch einmal erklingen lassen, kann sein Leben mit Bildern darstellen und kommentieren und kann ihm nachträglich jene Aufmerksamkeit zukommen lassen, die ihm im Leben das Leben nicht gegeben hat. Wer sich unter den einschlägigen Adressen[6] ins Netz begibt, stößt allerdings vor allem auf eins: Kitsch! Da finden sich die abgewandelten Sprüche aus dem Poesiealbum, die subjektiven Bekenntnisse, und nur wenig, was die Verstorbenen präsent werden ließe. Da sind die Werbetexte der virtuellen Bestatter schon vollmundiger. Das Ewige Leben preist seine Vorteile so an: "Alles kann noch einmal gesagt oder richtig gestellt werden (sic!). Das Lebenswerk kann noch einmal Revue passieren. Alles ist möglich."[7] Und die Hall of memory informiert "umfassend über den neuen, zeitgemäßen Weg, den Lieben über den Tod hinaus jederzeit nahe zu sein ... Denn wo könnte die Erinnerung an liebe Verstorbene lebendiger gehalten werden als im jederzeit zugänglichen größten Kommunikations-System der Welt?"[8] Das ist vermutlich so wahr wie es entlarvend ist.

Nun mag manchen die Vorstellung beruhigen, daß man im Internet weltweit die Trauer um einen verstorbenen Menschen kundtun kann (natürlich auch um ein verstorbenes Tier[9] oder um ein Tamagotchi[10], das seinen Geist aufgegeben hat). Aber weder geschieht dies für die Ewigkeit, noch ist es wirklich weltweit. 25 Jahre ist in der ersten Wirklichkeit die durchschnittliche Dauer der "Nutzungserlaubnis" einer Grabstätte, sozusagen eine physisch bedingte Erinnerung an einen Toten (selbst bei anonymen Bestattungen). Aber keine Website des Internet wird - trotz aller Versprechungen[11] - dieses Alter jemals erreichen (es sei denn, der Tote würde technisch mehrfach umgebettet.) Die heute eingegebenen Bilder sind vermutlich in sechs bis sieben Jahren schon nicht mehr lesbar, die Aufbereitung der Website durch künftige Browser nicht mehr nachzuvollziehen. Und 'weltweit' ist ein relativer Begriff angesichts der exponential steigenden Informationsangebote im Netz, die heute schon die Suche nach bestimmten Netzinhalten im Datenmüll enden lassen. Denn hier erweist sich das Internet in einem ganz anderen Sinne als Todesmaschine, denn es vernichtet Stunde um Stunde, Tag für Tag unzählige Informationen. Dauerhaft ist im Internet nichts, nicht einmal der Tod.


Das Eingangslogo einer virtuellen Totenstadt:
Zwei Cyberspace-Gestalten spielen mit ihrem Hirn Volleyball

Andererseits begegnen einem im Internet Tote geradezu "leibhaftig". So kann man im Cyberspace etwa virtuelle, quasi durchsichtige Menschen ansteuern - Körper zum Tode verurteilter und hingerichteter Straftäter, in feinste Scheibchen zerschnitten und nun virtuell begehbar. Ein Spaziergang durch den Leib eines Toten - wahlweise männlich oder weiblich.[12] Aber auch hier gilt: im Gegensatz zur widerlichen Totenausstellung "Körperwelten"[13] ist im Internet der Körper natürlich nicht konkret erfahrbar. Wer diese Toten im Netz der Medien aufsucht, begegnet Geistern, er wird, ob gewollt oder ungewollt, zum Nekromanten (Totenbeschwörer), er trifft auf "Wiedergänger, Gespenster, umherirrend in Zwischenreichen, weder lebendig noch tot, weder sinnlich noch intelligibel, weder anwesend noch abwesend, eher schon präsent in einer Anwesenheit, die den verstörenden Eindruck einer Abwesenheit erzeugt, abwesend in einer Absenz, von der eine lastende Fülle ausstrahlt, die den sie taxierenden Blick gefangennimmt, völlig vereinnahmt".[14]

Unter dem Titel "Die Zukunft ist schon da"[15] hat Heike Faller die Neuen Welten im WWW beschrieben. Aus den zahlreichen Angeboten virtueller 3D-Kommunikationsräume hat sie sich die Active Worlds herausgesucht, weil es "so gesund und sauber klingt, wie ein Fitnessclub". Diese Simulation besteht aus ca. 1000 Unterwelten (sic!) und hat mehr als 300 000 angemeldete Bürger. Im Prinzip erweist sich die virtuelle Welt als simple Doppelung der "echten Welt", nur daß der einzelne hier bestimmte Fixierungen der ersten Wirklichkeit durchbrechen kann: er kann (virtuell bigamistisch) ein zweites Mal heiraten, nackt durch die Gegend laufen oder auch als Hund auftreten. Der Fantasie sind hier keine oder doch kaum Grenzen gesetzt.

Am Ende ihres Erlebnisberichtes kommt Faller auch auf den Tod zu sprechen. Ein Cyberpunk namens Delta, eine Art Outlaw der Active Worlds, führt sie zu einem Garten, in dem 'Kaci', eine der ersten Bewohnerinnen dieser 3D-Welt, 'beerdigt' ist. "Hinter Kacis zweistöckigem Backsteinhaus haben Hunderte von Leuten Blumen, Kreuze, Gedichte hinterlassen. Einer hat zu ihrem Gedenken einen Teich angelegt. An der Hauswand hängt ein Foto von Kaci: eine junge Frau, die mit zwei kleinen Jungen und einem Schäferhund auf einem Sofa lümmelt. Sie ist wirklich gestorben - an einem Herzinfarkt. Viele von Kacis Freunden dürften auf diesem Foto zum ersten Mal gesehen haben, wie sie im wirklichen Leben aussah. Auf einem Schild mitten auf der immergrünen Wiese steht: 'Wir werden Dich sehr vermissen, Kaci, und wir bedauern, daß wir Dich nie getroffen haben.'"[16 ]

Offensichtlich hat auch in virtuellen Kommunikations(t)räumen der Trauerritus eine wichtige Funktion. Aber was heißt das? Wird hier ein Verhaltensmuster aus der ersten Wirklichkeit nur wiederholt oder handelt es sich um einen wirklichen Übergangsritus? Aber was heißt hier "nur" und was heißt "wirklich"? Auf diese Fragen ergeben sich keine schnellen Antworten. So einfach, wie es sich manche mit dem Verweis auf die Virtualität (also die angeblich leicht zu durchschauende Irrealität) des Cyberspace machen, ist es nämlich auch nicht.

Ich glaube, das Problem wird erst richtig faßbar, wenn man gedanklich sozusagen einen Umweg macht und im Rückblick auf das Phänomen der Repräsentation[17] versucht, der Imagination bzw. Vergegenwärtigung des nicht unmittelbar Präsenten in der abendländischen Geschichte nachzugehen. Dabei stößt man auf Vertrautes wie die Diskussion um die Realpräsenz Christi im Abendmahl, aber auch auf Phänomene wie die "zwei Körper des Königs".[18] Ganz allgemein ist der Begriff der Repräsentation von einer schillernden Mehrdeutigkeit. Sicher ist der Bundeskanzler ein Repräsentant des Staates, aber repräsentiert auch das Foto des Bundespräsidenten in deutschen Amtsstuben das Staatsoberhaupt? Welche Präsenz kommt den Fotos von Politikern auf Wahlkampfplakaten zu und warum werden sie Ziel von Aggressionen, wenn es keine Beziehung zwischen Urbild und Abbild gibt? Welche Bedeutung Bilder im Sinne der Vergegenwärtigung und der Präsenz für die Menschen in der Gegenwart immer noch haben, ist ein weitgehend unerforschtes Thema. Das gilt vor allem dann, wenn es mit der Frage nach dem Tod verbunden wird. Kann ein Mensch nach seinem Tod durch etwas anderes, ein Gegenstand, ein Bild repräsentiert werden? Ein Blick in die Geschichte zeigt, daß das Phänomen der 'virtuellen' Repräsentation der Toten älter ist, als man annehmen möchte.

So soll es im 2. Jahrhundert nach Christus ein Bestattungsgesetz gegeben haben, wonach ein Bildnisbegräbnis (funus imaginarium) veranstaltet wurde, falls der Körper eines Sklaven von seinem Herrn nicht herausgegeben wurde.[19] Römische Kaiser wurden, da man ihren Körper nach dem Tod schlecht für kultische Zwecke im Tempel aufstellen konnte, durch Repräsentanten ersetzt: "Zwei - verschiedene - Körper ermöglichten die Präsenz des Toten in den beiden voneinander strikt getrennten Räumen der Gräber und der Tempel, in den eigentlich miteinander unvereinbaren Zeiten der Bestattung und des öffentlichen Kultus. Der Kaiser blieb auf zwei verschiedene Weisen nach seinem Tod gegenwärtig unter den Lebenden."[20] Analoges finden wir bei französischen und englischen Zeremonien im 14. und 15. Jahrhundert. "An die Stelle des abwesenden Körpers tritt ein Ding, das ihm ähnelt ... so etwa die Puppen aus Wachs, Holz oder Leder, die während der Bestattung der französischen und englischen Herrscher auf den königlichen Sarg gestellt wurden."[21] Übertroffen wird diese Verbindung nur noch durch die Lehre von der Transsubstantiation. Neben der Anwesenheit Christi in der Hostie verblaßt jedes Evozieren oder Sichtbarwerden durch Bilder. Aber gerade das Phänomen der zwei Körper der Könige ist im wesentlichen durch die Auffassung von der Präsenz Christi im Abendmahl beeinflußt worden. [22] Es gibt offensichtlich, so Carlo Ginzburg, "eine enge Verbindung zwischen Bildern und dem Jenseits."[23] "Nicht der biologische Tod, sondern der soziale Akt, die Bestattung, trennt die Scheidenden von den Bleibenden"[24] schreibt Elias Bickerman und zeigt, "daß der Tod - jeder Tod - ein traumatisches Ereignis für die Gemeinschaft ist - eine wirkliche Krise, die mit Hilfe von Ritualen gemeistert werden muß, die das biologische Ereignis in einen sozialen Prozeß verwandeln und damit den Übergang des verwesenden Leichnams ... zum Skelett überwachen".[25]

Die abschließende und völlig offene Frage ist die, ob es sein kann, daß den Imaginationen des Cyberspace in den Köpfen der Menschen eine ähnliche Bedeutung zukommen kann, wie es mittelalterlich die Präsenz Christi im Abendmahl oder auch die Stellvertretung des Königs durch eine Puppe hatte. Natürlich hängt das im wesentlichen von den kulturellen Konventionen ab, die eine Gesellschaft im Blick auf die Erinnerung der Toten entwickelt. Um dies für den Cyberspace beurteilen zu können, muß noch einige Zeit vergehen, momentan ist das Medium einfach noch zu jung. Die vorhandenen Aktivitäten im WWW zeigen, daß in Deutschland in dieser Frage noch sehr verhalten agiert wird. Das Angebot der virtuellen Erinnerung wird wenig genutzt, die damit verbundenen sozialen Funktionen sind kaum entwickelt. In der Geschichte freilich, so haben wir gesehen, haben die Menschen immer wieder versucht, die Erinnerung an die Verstorbenen durch Bilder wachzuhalten und zugleich damit ihre Trauer zu verarbeiten. Die erst ansatzweise erkennbare Vergegenwärtigung der Toten im Cyberspace wird, wenn sie denn stattfindet, sich in diese soziale Funktion der Bilder einzeichnen müssen.

Als William Gibson seine Cyberpunk-Trilogie schrieb, bestand seine Lösung nicht darin, den Tod bzw. den Toten im Netz zu repräsentieren, sondern das Leben ins Netz zu überführen, ihm also jene Zwitterstellung zwischen Leben und Tod zu geben, die "Ausgänge nach beiden Seiten schafft". Verwandt damit ist ein bereits realisiertes Konzept, das sich nicht an reale Personen bindet, sondern an die exemplarisch in Personen inkorporierte Geschichte. Jill Scott, Projektleiterin des Multimedia-Laboratoriums am Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe, hat in einem Kunstwerk die Erinnerungen von acht Frauen aus vier Zeitzonen simuliert. Der Teilnehmer kann sich in die "Körper" dieser Menschen begeben und an ihren Erfahrungen, Utopien, Sorgen und Hoffnungen partizipieren: "Im Jahr 1900 glaubt Mary an die Gemeinschaft als Paradies, wo gemeinsame Arbeit zu Glück und Wohlstand führt, während Emma der Meinung ist, jegliche Art von Organisation müßte im Namen der Meinungsfreiheit und der Freiheit der Lebensgestaltung abgeschafft werden. Im Jahr 1930 zeigt Margaret eindeutig kapitalistische Züge der technischen Utopie, während Pearl, eine Dienstbotin, auf langes Leben und Gleichberechtigung ihrer Rasse hofft. In den radikalen 60er Jahren denkt Gillian, daß die Technik von einem verantwortungsbewußten sozialistischen Staat kontrolliert werden müßte, während Maria der Meinung ist, daß das organische Leben als Mutter der Unsterblichkeit in Frieden gelassen werden sollte. Heute, in den 90er Jahren, glaubt Ki, daß nur eine Mischung aus östlichem und westlichem Denken den Frieden fördern und die drohende Vereinsamung künftiger Generationen erleichtern kann. Zira ist der Meinung, daß man die Wunder der erfinderischen Technik akzeptieren sollte, aber mit Vorsicht, Sorge und Wachsamkeit über ihre Anwendungsformen und die Menschen, die sie kontrollieren."26 Exakt in diesem Sinne sind die Toten als Wiedergänger im Cyberspace real. Ob sie freilich wirklich existiert haben, ist demgegenüber sekundär: Mary, Emma, Margaret, Pearl, Gillian, Maria, Ki, Zira - wir werden Euch sehr vermissen und wir bedauern, Euch nie getroffen zu haben.

Anmerkungen

  1. William Gibson, Neuromancer, München 1987. Erstausgabe unter dem gleichen Titel 1984. Schon der Titel enthält Anspielungen auf den Tod. Anders als im Deutschen legt sich im Amerikanischen nicht nur die Lesart des "Neuromantikers" nahe, vielmehr ergeben sich auch Assoziationen zum "Necromancer", also dem Weissager durch Totenbeschwörung. "Der Neuromancer ist ein zeitgenössischer Zauberer, dessen Hexerei darin besteht, sein protoplasmisches Nervensystem mit dem elektronischen Nervensystem der Computerwelt zu interfacen und imagistisch zu manipulieren, ähnlich wie der traditionelle Schamane durch Drogen oder Trance imagistisch in eine Wechselwirkung zu traditionellen mystischen Bereichen tritt". So Norman Spinrad im Nachwort des Buches, S. 354.
  2. William Gibson, Biochips, München 1988. Erstausgabe unter dem Titel "Count Zero" 1986.
  3. William Gibson: Mona Lisa Overdrive, München 1989. Erstausgabe unter dem gleichen Titel 1988.
  4. So Michael Nagula, Die Nullstelle der Wahrnehmung. William Gibson und der Cyberpunk; in: William Gibson: Mona Lisa Overdrive, München 7/1995, S. 337-361, hier S. 357. Am präzisesten erfaßt diesen Zustand vielleicht die Beschreibung, die Sarah Kofman in ihrem Buch "Melancholie der Kunst" (Wien 1986) über die Kunst abgibt: "Reste, Wiedergänger, Gespenster, umherirrend in Zwischenreichen, weder lebendig noch tot, weder sinnlich noch intelligibel, weder anwesend noch abwesend, eher schon präsent in einer Anwesenheit, die den verstörenden Eindruck einer Abwesenheit erzeugt, abwesend in einer Absenz, von der eine lastende Fülle ausstrahlt, die den sie taxierenden Blick gefangennimmt, völlig vereinnahmt ... Es handelt sich um ein Verschieben des Wirklichen, das in Schwebe versetzt wird, wobei jeder unmittelbare Sinn sich verliert: Es ist da, ohne da zu sein, der Wirklichkeit beraubt, indifferent, sinnentleert." (S. 15)
  5. Dabei gilt schon für den Leichnam, daß er dem Lebenden auf merkwürdige Weise unähnlich-ähnlich ist: "Was man die sterbliche Hülle nennt, läßt sich mit gebräuchlichen Kategorien nicht fassen: da ist etwas vor unseren Augen, was weder der Lebende persönlich, noch irgendeine Realität, noch dasselbe wie der Lebende, noch ein anderer oder etwas anderes ist... Erstaunlich (...) in demselben Moment, in dem die Präsenz des Leichnams vor uns die des Unbekannten ist, beginnt der schmerzlich vermißte Verstorbene sich selbst zu ähneln (...). Ja, er ist es wirklich, der liebe Lebende, trotzdem aber ist es mehr als er, er ist schöner, imposanter, schon monumental und so vollkommen er selbst, daß er wie das Double seiner selbst ist, der feierlichen Unpersönlichkeit seiner selbst durch die Ähnlichkeit und durch das Abbild verbunden. (...) Der Leichnam ist das Spiegelbild, das sich zum Beherrscher des gespiegelten Lebens macht, es aussaugend und substantiell sich mit ihm identifizierend, indem es seinen Gebrauchs- und Wahrheitswert zu etwas Unglaublichem macht - ungewohnt und neutral. Und wenn der Leichnam so ähnlich ist, dann deswegen, weil er in einem bestimmten Moment die Ähnlichkeit par excellence ist, die vollkommene Ähnlichkeit und darüber hinaus nichts. Er ist das absolut, verstörend und wunderbar Ähnliche. Aber wem gleicht er? Niemandem." Maurice Blanchot, zit. nach Sarah Kofman, Melancholie der Kunst, a.a.O., S. 18f.
  6. Einige Adressen zur Auswahl:
    http://www.ewigesleben.de
    http://hall-of-memory.de
    http://memopolis.uni-regensburg.de
    http://www.eternalflame.com
    http://virtual-memorials.com
    http://cemetery.org
    http://www.inforamp.net/~bems/
    http://www.memorial-site.com
    http://www.lastingmemories.com
  7. "Seit es die Menschheit gibt, ist es für viele oft sehr wichtig, nach dem Tode nicht in Vergessenheit zu geraten. Erfahrungen, Weisheiten oder letzte Grüße wollen weitergegeben werden. Durch das Testament oder das hinterlassene Erbe ist dies in der Regel nicht möglich. Schon Freunde, Nachbarn, Arbeitskollegen und das weitere soziale Umfeld bleiben oft ohne Erinnerungsstücke an den Verstorbenen zurück. Besonders tragisch ist die Vorstellung, plötzlich durch einen Unfall oder eine Gewalttat aus dem Leben gerissen zu werden, ohne wichtige Dinge ausgesprochen zu haben. Das Internet bietet die Möglichkeit mit Bildern, der eigenen Stimme, kurzen Filmen oder dem geschriebenen Wort Ihr Vermächtnis wachzuhalten. Alles kann noch einmal gesagt oder richtig gestellt werden. Das Lebenswerk kann noch einmal Revue passieren. Alles ist möglich. Stellen Sie sich vor, daß dieser Abschied hier für immer erhalten bleibt, solange es das Internet oder ein vergleichbares Medium gibt. Für jeden Menschen wird Ihre Botschaft "weltweit abrufbar" sein. Für Ihre Kinder, Enkel und Urenkel in zehn, hundert oder tausend Jahren - solange es Menschen gibt. Wenn Sie dieser Möglichkeit Ihres ganz privaten Vermächtnisses gegenüber positiv eingestellt sind, stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung. Wir gestalten Ihnen niveauvoll - ganz nach Ihren Wünschen - Ihr Andenken.. Als Gestaltungsgrundlage können Ihre Lieblingsfarben, Ihre Fotos, Ihre Stimme oder kurze Videosequenzen dienen. So entsteht eine individuelle Präsentation Ihrer Persönlichkeit. Diese Arbeit wird auf dem Internet mit einem Passwort für Sie abrufbar sein. Danach haben sie ausreichend Zeit, Ihre Änderungswünsche bekannt zu geben. Nach ihrem Tode wird Ihre letzte Nachricht weltweit für alle nachfolgenden Generationen unter der Adresse: WWW.EWIGESLEBEN.DE zugänglich sein. Auf Wunsch erarbeiten wir auch eine Präsentation für bereits Verstorbene." [Dipl.Des. Christian Kluth]
  8. "Außerordentlich - und doch naheliegend - ist die Einrichtung einer weltweiten Totengedenkstätte im Internet. Denn wo könnte die Erinnerung an liebe Verstorbene lebendiger gehalten werden als im jederzeit zugänglichen größten Kommunikations-System der Welt? Allein in Deutschland nutzen es derzeit schon 5 Millionen Menschen. Weltweit sind mehr als 53 Millionen über das Internet miteinander verbunden. In lebendiger Form gestaltet, bleiben alle wichtigen Informationen über den Verstorbenen hier 30 Jahre lang der Nachwelt erhalten. Sei es als Memorial-Gedenkstätte, als Nachruf mit Bildern und Sprache, als Kurzbiographie mit Filmen oder als individuell gestaltete künstlerische Büste. Die dauerhafte Eintragung, die sorgfältig gesichert und gegen mißbräuchliche Veränderungen geschützt ist, kostet kein Vermögen. Schon für 398,00 DM setzen Sie dem Verstorbenen auf drei Jahrzehnte ein virtuelles Denkmal mit eigener Internet-Adresse. Die folgenden Seiten informieren Sie umfassend über den neuen, zeitgemäßen Weg, den Lieben über den Tod hinaus jederzeit nahe zu sein. Sie zeigen Beispiele für die individuelle Gestaltung der Gedenkstätten in der 'Hall of Memory'."
  9. Adressen: http://www.petmemorial.com
    http://www.ionet.net/~rkcathey/goldenbone/
  10. Adressen: http://www.urban.or.jphome/jun/tama/ohaka.html
    http://www.geocities.com/Tokyo/Flats/6337/
  11. Für alle nachfolgenden Generationen (ewigesleben.de); 30 Jahre lang der Nachwelt erhalten (hall-of-memory.de)
  12. The Visible Human Project: http://www.nlm.nih.gov/research/visible/visible_human.html
  13. Auf der Homepage des Instituts für Plastination findet sich folgende Information zur Ausstellung: "Körperwelten war eine Sonderausstellung, die das Institut für Plastination in Zusammenarbeit mit dem Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim in der Zeit vom 30. Oktober 1997 bis zum 1. Februar 1998 veranstaltete. Sie eröffnete dem Besucher einen einzigartigen Einblick in den gesunden und kranken menschlichen Körper. Im Zentrum der Ausstellung stand eine umfangreiche Sammlung echter anatomischer Präparate. Sie zeigte sowohl kunstvoll präparierte ganze Körper als auch einzelne Organe und transparente Quer- und Längsschnitte des Körpers. Die Präparate sind mit Hilfe der Plastination dauerhaft konserviert. Dies ist ein Vakuumverfahren, bei dem Körperwasser und -fett vollständig gegen Spezialkunststoffe ersetzt werden. Die Körperzellen und die natürlichen Oberflächenstrukturen bleiben dabei in ihrer ursprünglichen Form bis in den mikroskopischen Bereich hinein erhalten. Die Präparate sind trocken und geruchsfrei und damit im wahrsten Sinne des Wortes 'begreifbar'."
  14. Sara Kofmann, s. Anm. 4
  15. Heike Faller: Die Zukunft ist schon da, Spiegel special Nr. 3/1999 Info-Sucht. Der Mensch im Netz der Medien, S. 122.
  16. Ebd., S. 127.
  17. Vgl. Carlo Ginzburg: "Repräsentation - das Wort, die Vorstellung, der Gegenstand". Freibeuter 53, 1992, S. 3-23.
  18. Ernst Kantorowicz: Die zwei Körper des Königs. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters. München 1990.
  19. Ginzburg: "Repräsentation", a.a.O., S. 10. Ginzburg bezieht sich an dieser Stelle auf E. Bickerman, Die römische Kaiserapotheose, Archiv für Religionswissenschaft 27 (1929), S. 1-34, hier S. 6f.
  20. Flaurence Dupont, "L'autre corps de l'empereur-dieu", Le temps de la réflexion, 1986; zit. nach Ginzburg, Repräsentation, a.a.O., S. 13f.
  21. R. Chartier, Le monde comme representation, Annales ESC, H. 6 (1989), S. 1514-1515.
  22. Carlo Ginzburg kommt in seinen Überlegungen zur Repräsentation zu dem Schluß: "Die reale, konkrete, körperliche Präsenz Christi im Sakrament des Abendmahls ermöglichte - zwischen dem Ende des 13. und dem Anfang des 14. Jahrhunderts -, daß jenes außergewöhnliche Ding feste Gestalt annahm, jenes konkrete Symbol der Abstraktion des Staates: das Bildnis des Königs, das man Repräsentation nannte". Ebd., S. 20.
  23. Ginzburg, Repräsentation, S. 14.
  24. E. Bickerman, Die römische Kaiserapotheose, a.a.O., S. 4.
  25. Ginzburg, S. 826 Jill Scott, Die digitale Körperethik, Kunstforum 133, S. 172-178, hier S. 176.