Unterscheidungen

Notizen zum Thema "Kunst und Christentum"

von Andreas Mertin

[Originalbeitrag]

1. Anfang

Die Geschichte der Beziehung von "Kunst" und Christentum beginnt nicht erst in den ersten Jahrhunderten nach Christus, sondern wird in einem wesentlichen Maße bestimmt durch die "mosaische Unterscheidung". Wie immer man auch die Historizität des Mose einschätzt, die auf ihn zurückgeführte Unterscheidung "wird im Raum der Bilder getroffen, und der Kampf der Gegenreligion wird gegen die Bilder geführt." In Abgrenzung zur ägyptischen Kultur und später zur kanaanäischen Umwelt wird Bildkult zur Sünde schlechthin. Der Raum, der durch diese Unterscheidung geschaffen wird, "ist der Raum des jüdisch-christlich-islamischen Monotheismus. Es handelt sich um einen geistigen oder kulturellen Raum, der durch diese Unterscheidung konstruiert und von Europäern nunmehr seit fast zwei Jahrtausenden bewohnt wird".

Jan Assmann (1998): Moses der Ägypter. Entzifferung einer Gedächtnisspur. München / Wien: Hanser


2. Bild und Kunst

Die bis heute gebräuchliche Verwendung des Wortes "Kunst" für Artefakte vor der Zeit der späten Renaissance ist vermutlich mehr irreführend als hilfreich. Das was wir heute üblicherweise Kunst nennen, hat es vermutlich vor Ende des 15. Jahrhunderts nicht gegeben. Es legt sich daher nahe, für Artefakte bis zum Jahr 1500 im Wesentlichen von Bildern zu sprechen und den Terminus "Kunst" (im Sinne einer reflektierten Selbstwertigkeit) für die Zeit danach zu verwenden.

Hans Belting (1990): Bild und Kult: Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst. München: C.H.Beck


3. Das Werden christlicher Kunst

Das Christentum hat in den Anfängen seiner Auseinandersetzung mit Bildern sowohl im Osten wie im Westen keine eigenen Bildlösungen geschaffen, sondern vorhandene Bildtraditionen variiert und in Gebrauch genommen. Das gilt für die Katakombenkunst wie auch für die Ikonen.

Horst Schwebel (2002): Die Kunst und das Christentum. Geschichte eines Konflikts. München: C.H.Beck.

Herbert Alexander Stützer (1983): Die Kunst der römischen Katakomben. Köln: DuMont.


4. Von oben oder von unten?

Entgegen verbreiteter Darstellungen war es nicht das Volk, das die Bilder in das Christentum eingeführt hat (das biblia pauperum oder littera laicorum Argument). Die ersten Beispiele der Bildkunst im Christentum sind vielmehr Trinkbecher und Siegelringe und damit Accessoires gehobener Schichten. Auch die Katakombenkunst ist nicht Volkskunst, sondern wird durch Begüterte in Auftrag gegeben. Die Kunst sickert von oben ins Christentum. Fast für die gesamte Geschichte des Christentums gilt, dass die in diesem Kontext entstandenen Bilder nur mit solider Schriftkenntnis zu verstehen waren.

Horst Schwebel (2002)

Horst Bredekamp (1975): Kunst als Medium sozialer Konflikte. Bilderkämpfe von der Spätantike bis zu Hussitenrevolution. Frankfurt: Suhrkamp.


5. Die Anfänge des Christusbildes

Christusdarstellungen finden wir erstmals in der Bildwelt der Katakomben und zwar zunächst vor allem in der Übernahme bereits vorhandener Motive (Hirte, Christus-Orpheus, Sol invictus, Herakles etc.). Mit der staatlichen Anerkennung des Christentums ändert sich auch die Kunst. Das Christusbild steigt aus den Katakomben auf in die Höhe der neu erbauten Kirchen. Kurz nach 400 tauchen dann die ersten Kreuzigungsdarstellungen auf.

Horst Schwebel (2002)

Paul Hinz (1973): Deus Homo. 2 Bände. Berlin.


6. Ikonen - Bilderstreit - Bildertheologie

Ikonenmalerei ist seit dem 4. Jahrhundert bezeugt und seit dem 6. Jahrhundert belegt (Katharinenkloster am Sinai). Sie stand vermutlich von Anfang an unter hohem Legitimationsdruck, weshalb schon früh Legenden wie die von den "nicht von Händen gemachten Bildern" (acheiropoieta) und vom Mandylion vom König Abgar ihre Legitimität bezeugen sollten. In dieser Tradition steht auch noch die mittelalterliche Legende vom Schweißtuch der Veronika. Die früheste uns bekannte Christusikone stammt aus dem Katharinenkloster.

Im 8. Jahrhundert entsteht dann im Oströmischen Reich ein Streit um die Bilder, der fast 120 Jahre dauert und mit dem Sieg der Bilderfreunde endet. 726 lässt der Soldatenkaiser Leon III. die Christusikone über dem Chalketor in Konstantinopel entfernen, sein Sohn Konstantin V. lässt auf der Synode von Hiereia (754) alle religiösen Bilder mit theologischen Argumenten verurteilen. Schon 730 verfasst Johannes von Damaskus eine Streitschrift zur Verteidigung der Bilder, die aber zunächst keine Wirkung zeigt. Im Rahmen des byzantinischen Bilderstreits entwickelt sich die Terminologie, die Bilderstreit als "Ikonoklasmus", Bilderfeinde als "Ikonoklasten", Bilderfreunde als "Ikonodule" bezeichnet. Diese Terminologie ist insofern irreführend, als dass die byzantinischen Ikonoklasten keine Bilderfeinde, sondern "nur" Kultbildfeinde waren. Unter der Kaiserin Irene widerruft das Konzil von Nicäa (787) die kultbildfeindlichen Beschlüsse und bestätigt die heiligen Bilder. In der Folge gibt es einen Wechsel von Kultbildbefürwortern und -gegnern, bis 843 die Bilderverehrung in der Ostkirche festgeschrieben wird.

Die Bedeutung des byzantinischen Bilderstreits für die Diskussion um das Christusbild kann kaum überschätzt werden. Bis ins späte 20. Jahrhundert sind die Argumente im Für und Wider im Wesentlichen gleich geblieben. Die zentralen Argumente auf beiden Seiten:

  • Religiöse Bilder sind mit dem 2. Gebot grundsätzlich verboten, Gott ist nicht darstellbar, einzige Vergegenwärtigung Christi geschieht im Sakrament des Abendmahls.
  • Wenn Christus wahrhaft Mensch geworden ist, dann muss er auch darstellbar sein. Wer die Darstellbarkeit Christi bestreitet, leugnet die Inkarnation.

Unabhängig von der theologischen Argumentation entwickelte sich eine Bildpraxis, die stark von einem bildmagischen Verständnis geprägt war.

Hans Belting (1990);

Horst Schwebel (2002);

Horst Bredekamp (1975)


7. Die Antwort Roms und des Westens

Rom beantwortete den kultischen Gebrauch der Bilder im Osten zunächst relativierend mit dem Hinweis auf ihren didaktischen Nutzen. Damit wurde ein Argument Papst Gregor des Großen aufgenommen, der die Bilder als Bücher des Volkes bezeichnet hatte. Diese Haltung der didaktischen Ingebrauchnahme der Kunst war über Jahrhunderte in der katholischen Bildertheologie bestimmend.

Anders sieht die Position des Westens aus, die Karl der Große in den "Libri Carolini" niederlegen ließ. Seine Hoftheologen verwarfen die Anbetung der Bilder (nicht aber religiöse Bilder als solche und auch nicht Christusbilder oder Kruzifixe) und verwiesen im Blick auf die Inkarnation auf das Abendmahl als wahres Bild Christi. Kriterium der Bilder seien dagegen ausschließlich künstlerische, nämlich das "Ingenium" des Künstlers. Damit taucht zum ersten Mal in der Geschichte des Christentums und der von ihr beeinflussten Kultur der Gedanke des autonomen Kunstwerks auf.

Hans Belting (1990);

Horst Schwebel (2002)

Umberto Eco (1993): Kunst und Schönheit im Mittelalter. München: dtv.


8. Das Christusbild im Mittelalter

Um das Jahr 1000 erreicht die christliche Buchkunst ihren Höhepunkt. Wichtigste Christusdarstellung ist die Majestas Domini, die Christus mit Segensgestus oder Buch auf dem Weltenkreis sitzend vorstellt. Die Bilder der Reichenauer Schule zeigen eine reduzierte Bildsprache mit reichem Goldgrund, die die göttliche Natur Christi hervorheben. Nahezu zeitgleich (970) entstanden ist das Gerokreuz im Kölner Dom, das Jesus als Sterbenden darstellt. In den Jahrhunderten danach finden wir zahlreiche Ausgestaltungen, vom Realismus bis zur milden Verklärung.

Wichtig die Bilder Giottos (1266-1337), von manchen als Begründer der neuzeitlichen Malerei gefeiert. Bei Dante, Boccaccio und Petrarca finden wir Schilderungen über die Bedeutung dieses Malers für die zeitgenössische Kultur.

Bedeutsam ist Donatellos Streit mit Brunelleschi im Jahr 1409/10, wie Christus am Kreuz darzustellen sei. Donatello (1386-1466) hatte für Santa Croce in Florenz ein Kruzifix geschaffen, auf dem Christus mit den Zügen eines Bauern dargestellt war. Er zeigt das Werk voller Stolz seinem Freund Brunelleschi (1377-1446). Mir scheint, so antwortet dieser, "du habest einen Bauern ans Kreuz geheftet, und nicht die Gestalt eines Christus, der zart gebaut und der schönste Mann gewesen ist, der jemals geboren wurde." Gleichzeit arbeitete Brunelleschi für die Kirche Santa Maria Novella seine Version eines Kruzifixes, ein Werk, von dem Donatello, wie Vasari berichtet, geradezu überwältigt gewesen sein soll: "Dir ist vergönnt, den Heiland darzustellen, mir aber den Bauern".

Fast alle "Kunst", die wir im kollektiven Bildgedächtnis haben, stammt aus dieser Zeit zwischen 1400 und 1500. Das erste Bild mit Perspektive ist ebenfalls ein Christusbild, nämlich Masaccios (1401-1429) Trinitätsfresko. Mit der Renaissance zeichnet sich aber auch die Entwicklung der Bilder zu einer selbstbestimmten Gattung "Kunst" ab. Erkennbar ist das nicht nur an den Reflexionen der Künstler, sondern auch am Einspruch des Mönches Savonarola (1452-1498), der Kunst auf ihre religiös-didaktische Funktion begrenzen möchte und weltliche Kunst geißelt.

Das ausgehende 15. Jahrhundert versammelt eine schier unübersehbare Zahl großer Namen der abendländischen Kunst, die sich auch mit dem Christusbild auseinandergesetzt haben: Gentile Bellini (1430-1507), Andrea Mantegna (1431-1506), Hugo van der Goes (1440-1482), Sandro Botticelli (1445-1510), Pietro Perugino (1448-1523), Hieronymus Bosch (1450-1516), Leonardo da Vinci (1452-1519), Albrecht Dürer (1471-1528), Michelangelo (1475-1564).

Ebenfalls noch in vorreformatorische Zeiten gehört jenes Werk, das dann sogar einen Reflex in den Schriften Martin Luthers findet, nämlich der berühmte Isenheimer Altar des Mathis Grünewald (1480-1528).

Paul Hinz (1973);

Horst Schwebel (2002);

Umberto Eco (1993)


9. Reformation: Bildersturm und Bilddidaktik

Die Reformation selbst hat zwar viele Bilder, aber wenig große Kunst hervorgebracht. Dennoch hat sie viele Künstler beeinflusst, nicht zuletzt Mathis Grünewald, Tilman Riemenschneider und Lukas Cranach. Die religiöse Bildproduktion wurde im Gefolge der Reformation drastisch reduziert, die Bilder für die Auseinandersetzung um die religiöse Lehre aber enorm gesteigert. Indirekt wird die Reformation aber für die nun entstehende Kunst wirksam, indem sie die Künstler zwingt, sich eigenständige Arbeitsfelder jenseits der religiösen Auftragsmalerei zu suchen. Luther selbst verbleibt weitgehend im Bereich der didaktischen Funktionalisierung der Kunst, worin ihm einige Künstler auch gefolgt sind. So lässt sich Cranachs Bildfolge zum Thema "Gesetz und Evangelium" als angewandte Kunst der Reformation verstehen. Es ist das evangelische Lehrbild par excellence, nicht zuletzt deshalb, weil es die Beziehung von Christus und Christusbild zu den Gläubigen im Bild selbst darstellt.

Horst Schwebel (2002);

Hans Belting (1990)

Horst Schwebel (1980): Das Christusbild in der Bildenden Kunst der Gegenwart. Gießen: Wilhelm Schmitz.

Werner Hofmann (1983): "Die Geburt der Moderne aus dem Geist der Religion". In: Luther und die Folgen für die Kunst. Hg. v. Werner Hofmann. Katalog der Hamburger Kunsthalle. München: Prestel. S.23-71.

Göttler/Jezler (1987): "Das Erlöschen des Fegefeuers und der Zusammenbruch der Auftraggeberschaft für sakrale Kunst." In: ... kein Bildnis machen. Kunst und Theologie im Gespräch. Hg. von Dohmen/Sternberg. Würzburg: Echter. S.119-148.

Friedrich Ohly (1985): Gesetz und Evangelium. Zur Typologie bei Luther und Lucas Cranach. Zum Blutstrahl der Gnade in der Kunst. Münster: Aschendorffsche Buchhandlung.


10. Gegenreformation, Barock, Ende der christlichen Bildgeschichte

Mit dem Barock und den Beschlüssen des Tridentinischen Konzils geht die christliche Bildgeschichte dann endgültig zuende. "Der Barock ist die Kunst der Gegenreformation und des Absolutismus; Kirche und Aristokratie waren ihre wichtigsten Förderer. Ihr Streben nach Repräsentation verwirklichte sich v.a. in Größe und Pathos des Kunstwerks. Ausgehend von Rom, kam die Kunst des Barocks v.a. in den katholischen Ländern zu voller Entfaltung. Besonders die Jesuiten brachten sie nach Norden und nach Lateinamerika (Jesuitenstil). In den protestantischen Gebieten gab es kein geschlossenes Mäzenatentum, hier entstanden Einzelleistungen." [Brockhaus] Als wichtigste Künstler dieser Zeit können Peter Paul Rubens auf katholischer und Rembrandt van Rijn auf protestantischer Seite bezeichnet werden.

Horst Schwebel (2002)

Wolfgang Schöne (1957): "Die Bildgeschichte der christlichen Gottesgestalten in der abendländischen Kunst." In: Das Gottesbild im Abendland. Hg. von Günter Howe. Witten / Berlin: Eckart-Verlag, S. 7-56.


© Andreas Mertin, Hagen 2002