Ansichten Christi

Das Christusbild von der Antike bis zum 20. Jahrhundert

von Andreas Mertin

[Kunst und Kirche, Heft 3/2005]

"Ich habe die Ausstellung unter schlechten Voraussetzungen gesehen – sie war geöffnet" – diese bissige Kommentierung trifft mit einem gewissen Recht auch für die anlässlich des 20. Weltjugendtages der katholischen Kirche in Köln vom 1.07. bis 2.10. 2005 im Wallraf-Richartz-Museum präsentierte Ausstellung "Ansichten Christi" zu.

Wenn es eine Ausstellung zum Thema Christusbild sein soll, dann zeigt sie zu wenig Erhellendes. Wenn es eine Ausstellung zum Weltjugendtag sein soll, zeigt sie zu viel, denn dazu hätten gut platzierte Exponate samt Ergänzungen in der ständigen Sammlung gereicht. Weil es weder das Eine noch das Andere geworden ist, bleibt insgesamt ein mehr als ambivalenter Eindruck zurück.

Vor allem ist die Ausstellung Eines – und das überrascht vielleicht keinen Kölner, wohl aber den angereisten Besucher eines säkularen Museums: es ist eine dogmatisch orientierte konfessionelle Ausstellung. Das mag vielleicht an der Kooperation des Museums mit der Fondazione Gioventú Chiesa Speranza im Vatikan liegen, überraschend und befremdend bleibt es aber doch. Dass Caspar David Friedrich in der Ausstellung dezidiert als protestantischer Maler und Barnett Newman als jüdischer herausgestellt werden, macht nur Sinn, wenn man die anderen als katholische Künstler begreift.

Dass diese Ausstellung keine kunsthistorische, sondern eine theologische ist, wird einem schon beim Betreten klar: "Anfang und Ende der Ausstellung bilden die Darstellungen der Auferstehung und der triumphalen Wiederkehr Christi im Eingangssaal … Die hier gezeigten Werke … stellen daher den Glauben an die Auferstehung als wesentliches Element der christlichen Heilsbotschaft in den Mittelpunkt." Nun sind Ausstellungsinszenierungen immer Lektürevorschläge, aber was rechtfertigt kunsthistorisch den Einsatz bei der Auferstehung? Der Blick auf El Grecos 'Auferstehung' von 1600 aus dem Prado, auf Peter Paul Rubens 'Auferstehung' von 1616 aus den Uffizien und Guercinos 'Ungläubiger Thomas' von 1621 aus den Vatikanischen Museen illustrieren vielleicht einen zentralen Punkt des Glaubens, kunsthistorisch gibt es aber keine Begründung dafür.

Völlig willkürlich ist der zweite Raum konzipiert, der an sich in der Kontrastierung von antiker und moderner Kunst sehr reizvoll sein könnte. Unter dem Titel "Bilder vom Nicht-Darstellbaren" wird das komplexe kunstgeschichtliche wie theologische Problem der Repräsentation auf Symbolisierungsleistungen der Künstler reduziert. Dass dabei Werke von Josef Beuys, Yves Klein oder Barnett Newman (mit seinem gar nicht passenden Werk "Midnight Blue") quasi zu abstrakten bzw. abstrahierenden Symbolisten gemacht werden, schmerzt. Dass Caspar David Friedrich zudem nicht mit dem "Mönch am Meer" oder einer vergleichbaren Arbeit, sondern mit der "Eiche im Schnee", d.h. mit einem hauseigenen Werk vertreten ist, ist bedauerlich. Wie sich überhaupt der Eindruck aufdrängt, man hätte lieber andere Werke gezeigt, sie aber nicht bekommen.

Die dritte Abteilung "Urbilder des Antlitzes Christi" mutet einem neben wirklich beeindruckenden Werken auch eine Kopie des Turiner Grabtuches zu. Dass ist nun wirkungsästhetisch völlig überzogen und auch überflüssig.

Merkwürdig ist auch der vierte Raum, der unter der Überschrift "Christus und der Künstler" den "oft subjektiv geprägten Auseinandersetzungen prominenter Künstler mit dem Christusbild" nachgeht. Gibt es denn, so muss man sich fragen, andere Auseinandersetzungen mit dem Christusbild als subjektive? War das bis dato in der Ausstellung Präsentierte nicht ebenso subjektiv? Vielleicht liegt es an meiner protestantischen Prägung, dass ich den Sinn dieser Differenzierung nicht verstehen kann. Subjektiv, so will es uns die Ausstellungskonzeption nahe legen, sind die Zugangsweisen von Lovis Corinth, Pablo Picasso, Auguste Rodin, Andy Warhol oder auch Renato Guttuso. Das kann man so sehen, wenn damit nicht implizit ein Objektivismus anderer Werke unterstellt würde.

Dass es diese Objektivität nicht gibt, zeigt eine kleine Papierarbeit im Raum "Ansichten Christi auf Papier". Dort sieht man Theodor Galles Kupferstich "Christus mit dem Kreuz als Vorbild für die Maler", in dem dieser die seit Jahrhunderten gängige Praxis subjektiver Aneignung der Christusbildthematik durch die Künstler darstellt. In diesem Raum wären aber – im Anschluss an Theodor Galle - zahlreiche andere, jüngere und daher weniger konventionelle und aufregendere Arbeiten denkbar gewesen.

Die Abteilung "Christus: Gott und Mensch" soll Christi ‚Doppelnatur’ als Gott und Mensch zeigen. Statt dessen zeigt sie Tauf- und Trinitätsdarstellungen sowie Verklärungen.

Die siebte abschließende Abteilung "Passion und Emotion"(!) geht der Frage nach "Wie werden durch Christus-Bilder Emotionen dargestellt und beim Betrachter geweckt?" Unter dieser eher wirkungsästhetischen Fragestellung sieht man einige interessante aber auch spektakuläre Arbeiten bis hin zur Kreuzigungsdarstellung von Zurbarán, die jedoch angeblich schon "Emotion durch Illusion" ersetzt.

In der Gesamtauswahl der Exponate scheint es mir, als wolle man dem Kunsthistoriker Wolfgang Schöne Recht geben, der 1957 über "Die Bildgeschichte der christlichen Gottesgestalten in der abendländischen Kunst" geschrieben hatte, dass das künstlerische Gottesbild in der Gegenwart keine Bedeutung mehr habe. Dass sich dazu mehr sagen und zeigen lässt, haben andere Ausstellungen. die bis in die Gegenwart der Kunst gehen, überzeugend bewiesen. Die Kölner Ausstellung scheitert an dieser Klippe.

Zuletzt bearbeitet 28.12.2005
© Andreas Mertin