Beziehungskonstellation – Oder: Nicht kopflos werden!

Die Juditfigur – einmal anders gelesen

von Andreas Mertin

[religion unterrichten 1/2011]

Christofano Allori (1577-1621), Judith mit dem Haupt des Holofernes,
1620, Öl/Lwd, 139x116 cm, Palazzo Pitti Florenz

Gleich in mehrfacher Hinsicht haben wir es bei diesem Kunstwerk mit einer Beziehungskonstellation zu tun. Auf der inhaltlichen Ebene scheint das Bild von der Geschichte der schönen Witwe Judith zu erzählen, die infolge ihrer Liebe zu Gott und ihrem Volk auf spektakuläre Weise ihre Stadt vor der Unterdrückung, wenn nicht gar Vernichtung rettet, indem sie den angreifenden Feldherrn tötet. Diese Erzählung hat seit ihrer Genese die Menschen fasziniert. „Das nur auf Griechisch überlieferte Buch gehört in der katholischen Bibel zu den deuterokanonischen Schriften und steht in den sog. Geschichtsbüchern zwischen Tobit und Ester. In den jüdischen Kanon wurde es nicht aufgenommen und deswegen auch nicht in den protestantischen Kanon. Martin Luther hat es aber zu den „nützlich und gut“ zu lesenden Büchern gezählt und in die sog. „Apokryphen“ eingeordnet.“[1] Bei der Erzählung von Judit und ihren Heldentaten handelt es sich aber wirklich (bloß) um eine Erzählung, was jeder zeitgenössische Hörer auch wußte, weil die historischen Zuschreibungen wenig bis nichts mit der wahren Geschichte zu tun haben. Es ist eine Heldinnengeschichte, die viele Motive aus den biblischen Büchern aufgreift und in einer Erzählung bündelt.

Judith, die das gegnerische Heer buchstäblich „kopflos“ macht, war aber seit der Genese der Erzählung immer auch Projektionsfläche von (vor allem männlichen) Phantasien. Sei es, dass man sie als aggressive Frau im Geschlechterverhältnis darstellte, sei es, dass man ganz undezent auf ein Verhältnis ihrerseits mit Holofernes spekulierte. Diese Faszination als vermutete Femme fatale hat die Figur bis weit ins 20. Jahrhundert nicht verloren, wie die Gemälde von Klimt oder Stuck am Anfang des 20. Jahrhunderts zeigen.[2]

Jede Zeit hat sich diese Geschichte auf ihre Weise angeeignet, von der sexistischen Lesart einer Frau die gezielt ihren Körper einsetzt (so z.B. Conrad Meit, um 1512) bis zur Identifikation mit der entschlossenen Judit (so z.B. bei Artemisia Genteleschi, 1611). Ein interessantes Beispiel für eine subjektive Aneignung der biblischen Geschichte im Medium der Malerei ist die Darstellung der Judith von Christofano Allori (1620, also in der Fassung, die wir heute in Florenz im Palazzo Pitti finden). Auf diesem Bild sind alle Personen quasi doppelt codiert. Denn neben der Darstellung der Judith mit dem Kopf des Holofernes und der sie begleitenden Magd haben wir auch noch Darstellungen des Künstlers selber, seiner ehemaligen Geliebten Mazzafirra und deren Mutter vor uns.

Barbara Schmitz schreibt dazu: In seinen zwischen 1681 und 1728 nach und nach publizierten Notizen „schildert Filippo Baldinucci das Leben Florentiner Künstler … und berichtet von der Juditdarstellung Alloris: Er zeichnete nach dem lebendigen Modell nach ihrem Antlitz das Bildnis der Mazzafirra … und stellte sich selbst in jenem Bild als Holofernes dar; das Gesicht der Alten, das hinter der Gestalt Judits zu sehen und mit dem schönen weißen Tuch geschmückt ist, soll nach der Mutter derselben Mazzafirra nach dem lebenden Modell gemalt sein. … Die schöne La Mazzafirra war also die Geliebte Alloris, die ihn auf Drängen ihrer Mutter verlassen haben soll.“[3]

Die Tatsache, dass hier nicht nur eine biblische Erzählung, sondern auch ein privates zeitgenössisches Florentiner Drama vor Augen geführt wird, war damals stadtbekannt. Die Bürger wussten davon und sprachen darüber. Die Frage ist, wie man das Bild wahrnehmen würde, wenn man nicht über die Umstände der Bildentstehung informiert wäre. Dass der (männliche) Betrachter dahin gelenkt wird, seine Sympathie dem Holofernes als Opfer zuzuwenden, kann ich nicht zwingend nachvollziehen – in dieser Hinsicht wären doch eher die Kunstwerke vom Anfang des 20. Jahrhunderts einschlägig. Die Kommunikation mit dem Betrachter findet bei Allori eindeutig durch Judith statt, die direkt aus dem Bild heraus schaut – wenn auch ohne große Sympathie. Andererseits kann von einem schrecklichen und gewaltsamen Geschehen im Bild keine Rede sein, es liegt vielmehr ein Hauch des Melancholischen über dem Ganzen.

Vielleicht ist dieses Bild vor allen anderen eines, bei dem man tatsächlich metaphorisch von einem Paar bzw. einer Dreieckskonstellation reden kann. Klar aber dürfte sein, dass Christofano Allori dieses Bild gemalt hat, weil er sich wie Holofernes gefühlt hat und seine Gefühle somit nachvollziehbar öffentlich kolportiert hat, sonst wüssten wir von diesem Hintergrund nichts. Löst man das Bild in seine zentralen vier Elemente auf, dann zeigt es eine gescheiterte Beziehung von Mann und Frau und fügt dieser Konstellation zwei Elemente hinzu: die die Beziehung beeinflussende Umwelt (alte Frau) und eine abrupten Lösungsweg (die Trennung).

Die Herausforderung dieses Bildes besteht darin, ob es gelingt, die Metapher dahinter zu verstehen. Die Geschichte (nicht der Judit, sondern) dieser Darstellung zu rekonstruieren heißt auch, sie als Metapher lesen zu lernen. Erzählungen – auch biblische Erzählungen – sind Projektionsflächen. Wer das Bild in diesem Sinne lesen will, muss etwas von der erzählerischen Sprache und von der Bildsprache begreifen. Gegen den verbreiteten Spruch „Zu einer Beziehung gehören immer zwei“ setzt Allori die Erkenntnis „Zu einer Beziehung gehören immer mehr als zwei“ (Menschen / Perspektiven / Lösungen / Entwicklungen/ Geschichten /….). Ob das Kunstwerk für die Beziehungsarbeit zwischen Allori und Mazzafirra etwas genutzt hat, wissen wir nicht. Vermutlich eher nicht.

Im Unterricht könnte man der Erzählung von der heldenhaften Judit als einer Projektionsfläche von Hoffnungen und Ängsten nachgehen.


[1]    Barbara Schmitz, Artikel Judit / Juditbuch im wissenschaftlichen Lexikon im Internet (www.wibilex.de)

[2]    Vgl. dazu Andreas Mertin, Judith oder: Wie durch Subjektivität Gerechtigkeit entsteht. Ein Blick in die Kunst der Darstellung von Gewalt, www.theomag.de/59/am290.htm (dort auch die wichtigsten Abbildungen zum Thema)

[3]    Barbara Schmitz, Trickster, Schriftgelehrte oder femme fatale? Die Juditfigur zwischen biblischer Erzählung und kunstgeschichtlicher Rezeption. http://www.bibfor.de/archiv/04.schmitz.htm

Andreas Mertinn

Zuletzt bearbeitet 01.02.2014