Menschenbilder

Zur Dialektik von Natur, Künstlichkeit und Kunst

von Andreas Mertin

[religion unterrichten 2/2011]

Romuald Hazoumé, Ear Splitting, 1999, Plastic can, brush, speakers 42 x 22 x 16 cm

Romuald Hazoumè ist ein 1962 in Porto Novo, Benin, geborener Künstler, der international nicht zuletzt durch seine Masken aus Kunststoffkanistern berühmt wurde und zu den wichtigsten Künstlern der Gegenwart zählt. Seine Arbeiten basieren häufig auf den Mythen und Traditionen seiner Heimat Benin. „Romuald Hazoumè besuchte ein französisches Gymnasium und begeisterte sich in seiner Jugend für Sport. Er wurde Judo-Meister seines Landes, nebenbei malte er Bilder, die von allerlei Riten und Symbolen einheimischer Anhänger bestimmter Naturreligionen beeinflusst wurden. Bei seiner ersten öffentlichen Ausstellung 1989 am Centre Culturel Français in Cotonou wurde er von dem renommierten Kurator für afrikanische Kunst André Magnin entdeckt. Er sah Hazoumés Arbeiten aus Metallschrott,Holztrümmern, Blechfetzen und ausgedienten Plastikkanistern, die er zu Masken gestaltet hatte und so den Müll ‚beseelte’. Später folgten Ausstellungen in diversen Städten wie Houston, Paris, London und im Guggenheim-Museum Bilbao. Auf der documenta 12 in Kassel war Hazoumé mit mehreren Werken vertreten. Das  spektakulärste war ‚Dream’ (2007), eine Installation … aus einem aus zerschnittenen Plastikkanistern zusammengesetzten Flüchtlingsboot, einer Fotografie … eines afrikanischen Flussdorfes und mehreren Bodenbeschriftungen in vier Sprachen (deutsch, englisch, französisch, eine afrikanische Sprache). Der englische Spruch lautete übersetzt in etwa ‚Verdammt wenn sie gehen und verdammt wenn sie bleiben, besser, wenigstens, gegangen zu sein und zu scheitern im Boot ihrer Träume.’ Dieses Werk war wie viele andere ein politisches Statement zur aktuellen Entwicklung Afrikas“ (wkipedia).

Wenn wir eine Arbeit wie die umseitig abgebildete von Romuald Hazoumè betrachten, ver­dichten sich darin eine Fülle von Aspekten. Wenn wir dem Objekt in größerer Entfernung gegen­überstehen, dann haben wir zunächst den unwillkürlichen Eindruck, eine afrikanische Maske zu sehen. Afrikanische Masken lösen in unserer mitteleuropäischen Wahrnehmung bestimmte Konnotationen aus. Man kann das heute noch überprüfen, indem man bei Googles Bildersuche das Stichwort "afrikanische Maske" eingibt und dann seine eigene Wahrnehmung kontrolliert. Darüber hinaus verweist uns der Artikel „Maske“ im Seemanns Lexikon der Kunst darauf, dass das Maskenwesen in der afrikanischen Kunst ein Ausdruck des kulturellen Reichtums und der kulturellen Vielfalt ist:

„Masken, seit der Ur- und Frühgeschichte gebräuchliche Nachbildungen von Gesicht oder Kopf von Mensch oder Tier durch eine Hohlform in Holz, Ton, Pappmaché oder anderen leicht formbaren und billigen Materialien … Besonders üppig ist das Maskenwesen in Afrika ausgebildet ... Die Stilisierung in der afrikanischen Kunst zielt darauf, den Menschen ein Stück Außermenschliches zu geben. Ebenso wird die menschliche Gestalt mit Attributen des Transzendenten ausgestattet (unbewegliches Ebenmaß gepaart mit unnahbarer, strenger Schönheit).“ [Lexikon der Kunst: Masken. LdK Bd. 4, S. 588 und 590]

Romuald Hazoumè hat sich in dem Buch „My Paradise - Made in Porto-Novo“ über seine Kunst so geäußert: "Es ist schwer, über eine afrikanische Identität zu sprechen. Die Komplexität von Afrika ist unbeschreiblich. Ich finde es zeugt von der Arroganz des Abendlandes, wenn man uns weismachen will, wir hätten keine Kunst oder dass die Kunst der Yoruba Folklore sei. Der beste Weg, den Menschen in Afrika zu dienen, besteht darin, ihrem Leid mit dem heute populärsten Objekt in Benin Ausdruck zu verleihen. Das ist aber nicht das Auto, es sind die Benzinkanister an den Straßen. Und diese Kanister sind bereits Masken. Resultat ist eine Maske, die keine afrikanische Maske und auch kein Ebenbild einer afrikanischen Maske sein kann. Sie hat nichts mit irgendeinem Ästhetizismus zu tun.“

Wenn es aber keine afrikanische Maske ist, sondern ein Alltagsobjekt, das zugleich ein afrikanisches Kunstobjekt ist, das sich mit dem Leben der Menschen in Benin auseinandersetzt, dann müssen wir einen zweiten Blick auf das Werk werfen. Wir sehen ein Objekt, das aus Zivilisationselementen besteht. Ein Plastikkanister, der offenkundig lange in Gebrauch war, die Überreste eines Stereoheadphones der Firma Binatone, mit am Kopfhörer regelbaren Frequenzen und schließlich eine schwarze Drahtbürste zum Reinigen von Flaschen. Alles so zusammengesetzt, dass der Eindruck einer Maske entsteht. [In anderen Arbeiten vergleichbaren Typs kombiniert der Künstler die Kanister mit Haaren.] Die Kanister sind ein Teil der Straßenkultur Benins. Die Menschen erhitzen sie zum Teil, um ihnen ein größeres Volumen zu geben, füllen sie mit Benzin und transportieren sie dann über die Grenze, um sich so den Lebensunterhalt zu verdienen. Die Kanister bestehen aus Erdöl, ein Naturprodukt, das für uns der Inbegriff des Kunst-Stoffes ist, weil es unsere Plastikwelt dominiert. Erdöl ist ein in der Erdkruste eingelagertes Stoffgemisch, das bei Umwandlungsprozessen organischer Stoffe entsteht. Es wird seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts industriell verwertet. [Die ersten Bohrungen 1856 und 1859 waren übrigens in Niedersachsen.] Heute ist eine Welt ohne die Nutzung der Folgeprodukte des Erdöls schwer vorstellbar, Erdöl hat unserer Welt ein „eigenes Gesicht“ gegeben.

Die Annäherung an das Kunstwerk im Religionsunterricht geht zunächst über die Wahrnehmung. Was sehen wir – was mein(t)en wir zu sehen – was assoziieren wir? Das nächste Stichwort könnte dann das der Maske sein. Hier ist der entsprechende Artikel der Wikipedia sehr hilfreich, weil er visuelles Material bereitstellt und auch auf die moderne Kunst Bezug nimmt. Die weitere Annäherung könnte unter dem Stichwort „(Unser) Umgang mit natürlichen Ressourcen“ geschehen. Das Kunstwerk von Hazoumè ist ja so etwas wie Recycling und künstlerische Reflexion des Recyclings zugleich. Man könnte sagen: „Wie wir mit den natürlichen Ressourcen umgehen, das zeichnet uns aus und ergibt ein Bild von uns“. Und schließlich kann man sich inspirieren lassen, selbst Masken unter diesem Aspekt anzufertigen: http://arttattler.com/archiveafricanicon.html .

Andreas Mertinn

Zuletzt bearbeitet 01.02.2014