Inzwischen unterscheidet man in der Diskussion über das Verhältnis von Kunst und Religion zwischen Kunst aus der säkularen Zeit und Kunst im Zeitalter des Postsäkularen. Während lange Zeit alles darauf hin deutete, dass immer weniger explizite Religion in den Werken der Bildenden Kunst vorkommen würde und die ganze Anstrengung darauf hinaus lief, den „religiösen Charme der Kunst“ an sich zu entdecken, mehren sich nun die Stimmen und die Kunstwerke, die diese Debatte für überholt halten, weil Religion und Kunst sich heute auf Augenhöhe begegnen könnten. Wer das einmal konkret an Kunstwerken überprüfen will, kann es an Arbeiten tun, die in unmittelbarer Nachbarschaft hängen, von zwei der renommiertesten Künstler der Gegenwart geschaffen wurden und doch unterschiedlicher kaum sein könnten. Im Kölner Dom kann man seit 2007 das große Glasfenster von Gerhard Richter sehen, um das es zu seiner Zeit öffentliche Kontroversen gegeben hat und das man wohl mit Recht als eines der Spitzenwerke säkularer Kunst der Gegenwart in einer bedeutenden Kirche bezeichnen kann. Und wenige Meter davon entfernt, hat der Künstler Markus Lüpertz für St. Andreas, die Kirche von Albertus Magnus, einen Zyklus von Glasfenstern geschaffen, der unverkennbar von der Kunst im Zeitalter des Postsäkularen zeugt. Beides sind je für sich Meisterwerke der Kunst des beginnenden 21. Jahrhunderts, die aber noch einmal im Vergleich das jeweils Besondere in der Konstellation von Kunst und Religion vor Augen führen.
Gerhard Richter, Das Glasfenster Kölner Dom
Inzwischen ist das am 25. August 2007 eingeweihte Kölner Domfenster im Südquerhaus weniger umstritten als vielmehr weltberühmt und fast ein Anlass für (Kunst-)Wallfahrten geworden. Bis es zustande kam, war es jedoch ein langer Weg. Ursprünglich wollte das Metropolitankapitel des Kölner Doms als Hausherr, dass auf diesem Fenster sechs „Märtyrer des 20. Jahrhunderts“ (Edith Stein, Rupert Mayer, Karl Leisner, Bernhard Lichtenberg, Nikolaus Groß und Maximilian Kolbe) dargestellt werden. Beauftragt wurde mit einem Entwurf Gerhard Richter (*1932), der sicher bedeutendste deutsche Künstler der Gegenwart. Nach einigen Überlegungen kam Richter aber zu dem Schluss, dass ein derartiges darstellendes Programm für ihn nicht möglich sei (obwohl er durchaus in der Tradition figurativer Malerei bereits gearbeitet hatte). Statt dessen schlug er alternativ ein scheinbar abstraktes Fenster in der Tradition seiner Farbfelderbilder vor (z.B. 1024 Farben aus dem Jahr 197x). Diese Bilder scheinen abstrakt zu sein, man könnte sie aber auch als hyperrealistisch bezeichnen, wenn man berücksichtigt, dass Richter ursprünglich die Farbtabelle eines Malermeisters sorgfältig abgemalt hat. In jedem Fall würde eine derartige reine Farblösung eine ganz besondere Seh-Erfahrung im Kölner Dom auslösen. Das Metropolitankapitel stimmte seiner Idee zu und so wurde das Fenster in der heute vorliegenden Form realisiert. 72 mal 72 Farbtöne „aus dem der Computer per Zufallsgenerator die Anordnung der Töne bestimmte, mit denen eine Hälfte des Domfensters gefüllt wurde; die andere Hälfte ist de Spiegelung davon“ (Gerhard Richter).
Die Spiegelungen sind aber etwas komplexer, als es sich in dieser einfachen Beschreibung anhört. Letztendlich sieht das Spiegelungsschema so aus wie auf der nebenstehenden Zeichnung (ein Zuordnung, die Schülerinnen und Schüler bei einer vorliegenden Farbkopie gut selbst vornehmen können!).
Was „sagt“ uns das nun in einer aus dem Mittelalter stammenden Kirche? Das war auch die Frage, die Kardinal Meisner stellte, als er mit den Entwürfen konfrontiert war. Ist das nicht eine Bildlösung, die auch in einer Synagoge oder einer Moschee ihren Platz gefunden hätte. Wie kommt aber so zum Ausdruck, dass wir uns in einem christlichen Dom befinden? Die einfachste Antwort ist der Verweis auf die spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Lichtmetaphysik. Gerade die Gotik hat, folgt man bestimmten Traditionen ihrer Beschreibung, das Spiel mit dem Licht aus theologischen Gründen vorangetrieben. Folgt man diesem Ansatz, dann wäre das Spiel der Farben, das bei unterschiedlichem Sonnenlichteinfall zur Geltung kommt und den Kirchenraum verändert, selbst eine theologische Aussage und ermöglichte eine unmittelbare religiöse Erfahrung (neben der rein ästhetischen Erfahrung). Das ist ja eine der bedeutenden Erkenntnisse der Kunst des 20. Jahrhunderts, dass es nicht der figurativen Verdichtung von Farben und Formen bedarf, um elementare religiöse Erfahrungen auszulösen vgl. dazu die Werke von Barnett Newman oder Marc Rothko). Die zweite Antwort wäre der Hinweis auf eine moderne Form der Schöpfungserfahrung im naturwissenschaftlichen Sinn, etwa im Sinne der Bilder von Alfred Manessier. Bilder vom Urknall oder von kosmischen Ereignissen haben eine gewisse Nähe zu dem Fenster von Richter. Und die dritte Antwort wäre der Verweis auf die intensivierten Seh-Erfahrungen, die dieses Glasfenster im Blick auf all die anderen Arbeiten im Kölner Dom auslöst. Wer sich zunächst mit Gerhard Richters Fenster beschäftigt und dann durch das Langhaus geht, macht eine ganz neuartige Erfahrung. Richters Fenster erweist sich als eine Art künstlerischer Schlüssel für die visuelle Erfahrung des Kölner Doms. Diese Erfahrung kann man aber nur vor Ort machen. Religionspädagogisch ist das Fenster aber ebenso Studienobjekt (Spiegelungen) wie Meditationsobjekt (Farben) und Reflexionsobjekt (theologischer Sinn). Alle drei Ebenen können ergänzend abgearbeitet werden.
Man kann den Glasfenster-Zyklus von Markus Lüpertz, ebenfalls einer der bedeutenden zeitgenössischen Maler Deutschlands, als Gegenentwurf zum Glasfenster im Kölner Dom begreifen. Während sich Richter ganz auf das Spiel der Farben und die Seh-Erfahrung konzentriert, arbeitet Lüpertz künstlerisch am Motiv bis dahin, dass er ganz in der Darstellung aufgeht. Über sein Verhältnis zur Religion sagt Lüpertz: „Gott ist für mich als Katholik die Projektion alles Guten, alles Wissens. Alles, was wir uns zusammengetragen haben an Sein, bis hin zu den wunderbaren Geschichten in der Bibel. Deswegen ist die Religion wichtig, weil sie den Glauben verlangt an Ideale, Ungereimtheiten, Unglaubwürdiges. An diesen großen Traum zu glauben, so unrealistisch er ist, finde ich wunderbar.“ Zunächst hatte Lüpertz den Makkabäer-Zyklus in St. Andreas in Köln gestaltet, dann im gegenüberliegenden Marien-Chor verschiedene Themen gestaltet, u.a. die hier abgebildeten zwei Fenster. Sie greifen einen Albertus Magnus zugeschriebenen Text auf: „Zu Köln am Rhein hat der hl. Albert der Erzählung nach Gott öfter und inständig gebeten, dass er ihn erleuchten wolle zu erkennen, welches das beste Werk und dem Sünder zur Abbüßung und Besserung am heilsamsten sei. In einer Erleuchtung hat Gott ihm gesagt: ‚Weil du eifrig gebeten hast, so habe Ich dich erhört. Meide die Sünde und höre, welche Werke Mir vor andern angenehm und dem Sünder am heilsamsten sind, und gehe hin und predige und tue danach.’“
1. Wenn du bei Lebzeiten mit Andacht Mich für dich oder andere bittest, so ist es Mir angenehmer, als wenn nach deinem Tode alle Heiligen im Himmel für dich bitten.
2. Wenn du in deinem Leben, wegen Meinen Leiden eine einzige Träne vergießest, so ist es Mir lieber, als wenn nach deinem Tode andere ganze Brunnen voller Tränen für dich vergießen würden.
3. Wenn du einem Menschen etwas Gutes erzählest oder ein geistliches Buch vorlesest, so ist Mir es lieber, als wenn du sieben Jahre lang mit Wasser und Brot fasten würdest.
Andreas Mertin4. Wenn du dich für den geringsten Menschen und für den größten Sünder haltest, so ist es Mir lieber, als wenn du über Flüsse Brücken bauest oder alle Fremdlinge umsonst beherbergest
5. Wenn du endlich alle Freuden und Wolllüste der Welt Meinetwegen verlassest, so ist es Mir lieber, als wenn du dich an einer Säule die voller Spitz’ und Messern wäre und die bis an den Himmel reichte, auf- und abziehen ließest.
6. Wenn du bei der Nacht zum Gebete aufstehest, so ist Mir dieses angenehmer, als wenn du zehntausend bewaffnete Männer fortschicktest, gegen die Ungläubigen zu streiten.
7. Wenn du aus Liebe zu Mir allen deinen Feinden verzeihest, so ist mir dies lieber, als wenn du bis St. Jakobus (di Compostela) barfuss auf Dornen gehen und dich beständig geißeln würdest.
8. Wenn du bei Lebzeiten einen Pfennig aus Liebe zu Mir austeilst, so ist es mir angenehmer, als wenn deine Nachkommen Säcke voll Geld austeilen, die von der Erde bis an den Himmel reichen.
9. Wenn du gegenüber keinem Menschen nichts Böses denkest und redest, so gefällt Mir dies besser, als wenn du all dein Hab und Gut nach deinem Tod den Armen überschriebest.
Tatsächlich kann man die Sätze 1 bis 4 auf dem linken Fenster und die Sätze 5 bis 9 auf dem rechten Fenster dargestellt sehen. Dabei geschieht die Umsetzung nicht im Stile mittelalterlicher Illustration, sondern in der modernen neoexpressiven Formensprache eines Markus Lüpertz, die „erzählerisch“ arbeitet, das heißt, den Inhalt der Sätze ausdrucksstark zur Geltung bringt, weshalb die Fenster eben auch „gelesen“ werden können.
Literatur
Richter, Gerhard; Diederich, Stephan (2007): Gerhard Richter - Zufall, das Kölner Domfenster und 4900 Farben Köln: Walther König.
http://gemeinden.erzbistum-koeln.de/st_andreas_koeln/kirche/luepertzfenster/